LANDVERSTAND

WAS WIR ÜBER UNSER ESSEN WIRKLICH WISSEN SOLLTEN

von Timo Küntzle

erschienen im Verlag Kremayr & Scheriau (Wien)

Foto: Manfred Weis

„Wir Konsumenten blockieren ein nachhaltigeres globales Ernährungssystem, indem wir der Landwirtschaft einen Mühlstein aus Vorurteilen, Denkverboten und widersprüchlichen Wünschen um den Hals hängen.“

Timo Küntzle, Autor und Dipl.-Agraringenieur

Portraitfoto: Manfred Weis


LANDVERSTAND

Ein Streitbuch zu moderner Landwirtschaft

Über unser Essen und seine Herstellung wurde nie emotionaler und verbissener diskutiert als heute. Gleichzeitig ist die Zahl der Menschen mit direktem Einblick in die Landwirtschaft auf einem historischen Tiefstand. Klar ist lediglich: Jedes Lebensmittel soll makellos und rund ums Jahr zu haben sein – aber bitte nachhaltig regional und bio. Kann das funktionieren?

Natürlich nicht, sagt Timo Küntzle. Der Journalist und Landwirtsohn sieht genau hin, um mit romantisierenden und verteufelnden Vorurteilen aufzuräumen. Welche Rolle spielt die Landwirtschaft beim Klimawandel genau? Ist „bio für alle“ realistisch? Wie schädlich sind Glyphosat und andere Pestizide tatsächlich, was sind die Alternativen? Und nicht zuletzt: Ist unsere Angst vor Gentechnik auf dem Teller berechtigt, war unser Essen in der „guten alten Zeit“ wirklich besser? Die Antworten sind nicht immer einfach. Aber zweimal hinsehen lohnt sich. Nicht nur, weil es um unser täglich Brot geht, sondern auch, weil etwas mehr Landverstand uns allen guttäte.

Wussten Sie, dass...?

…die Hälfte der Menschheit ohne „Kunstdünger“ nicht am Leben wäre?

Das chemische Synthese-Verfahren, mit dem natürlicher Stickstoff aus der Luft in mineralischen Dünger umgewandelt wird, machte enorme Ertragssteigerungen möglich – vor allem seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Seinen beiden Erfindern, Fritz Haber und Carl Bosch, bescherte es je einen Nobelpreis. Wissenschaftler haben errechnet, dass annähernd jeder zweite Erdenbewohner sein Leben dieser Erfindung verdankt. Gleichzeitig stellen Stickstoffverluste ein großes ökologisches Problem u.a. für Gewässer dar und belasten das Weltklima.

…wir Gentechnik längst auf unseren Tellern haben?

Weltweit sind mehrere tausend Pflanzensorten zugelassen, die auf zufälligen, mittels Radioaktivität oder chemischer Behandlung hervorgerufenen Mutationen beruhen. Das Verfahren nennt sich „Mutagenese“ und bei entsprechenden Pflanzen handelt es sich – laut einem Gerichtsentscheid des EuGHs von 2018 – um gentechnisch veränderte Organismen (GVO). Da sie allerdings von den strengen Zulassungs- und Kennzeichnungsverpflichtungen „klassischer“ Gentechnik-Züchtungen ausgenommen sind, gibt es sie ganz legal in unseren Lebensmitteln – selbst mit Bio- oder „Ohne Gentechnik“-Label. Dazu gehören etwa die meisten Hartweizensorten.

…auch Biobauern Pestizide (Pflanzenschutzmittel) ausbringen?

Pflanzenschutz (mechanisch, chemisch oder biologisch) war immer Teil der Landwirtschaft. In Österreich entfielen im Jahr 2020 laut Grünem Bericht 43 Prozent der verkauften Menge an Pestizid-Wirkstoffen auf solche, die auch in der Bio-Landwirtschaft zugelassen sind. Bio-Bäuerinnen schützen die Ernten von Erdäpfeln, Weinreben, Obst und Gemüse vor Pilzkrankheiten und Insekten mit Hilfe spezieller Bio-Pestizide. Zu ihnen gehören das Schwermetall Kupfer oder der „Bienenkiller“ Spinosad. Unkrautbekämpfungsmittel sind bei Bio allerdings nicht erlaubt, wodurch sich häufig ein Vorteil für die lokale Artenvielfalt ergibt.

…der Transport nur einen geringen Teil des CO2-Fußabdrucks unserer Lebensmittel ausmacht?

Zwar spricht vieles für regional produzierte Lebensmittel, und mit dem Flugzeug gereiste Spargel oder Erdbeeren sollte man tatsächlich vermeiden. Aber dennoch wird die Auswirkung der Transportkilometer auf die Klimabilanz häufig stark überschätzt. Bei einem durchschnittlichen, innerhalb der EU verzehrten Lebensmittel, verursacht der Transport gerade einmal 6 Prozent der damit verbundenen Treibhausgase. Viel mehr steuern Landnutzungseffekte oder die Verwendung von Düngern bei. Die Art des Lebensmittels (z.B. Fleisch oder Hülsenfrüchte) ist für das Klima i.d.R. wesentlich wichtiger als die Reise, die es möglicherweise hinter sich hat. 

…Moore für das Weltklima noch viel wertvoller sind als Wälder?

Obwohl Moore nur 3 Prozent der globalen Landfläche bedecken, speichern sie mehr als doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder der Erde zusammen – die auf rund 30 Prozent der Landflächen wachsen. Anders formuliert: Ein Hektar Moor speichert im globalen Durchschnitt 6-mal so viel Kohlenstoff wie ein Hektar Wald. Ihr Schutz vor Umwandlung zu Ackerflächen und ihre Wiederherstellung gehören zu den wichtigsten Maßnahmen des Klimaschutzes. 

…159 Nobelpreisträger die Blockade der Gentechnik ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ nennen?

2016 wandten sich 108 (damals) lebende Nobelpreisträgerinnen in einem offenen Brief mit der dringlichen Aufforderung an Greenpeace, die Opposition gegenüber der Gentechnik in der Pflanzenzüchtung aufzugeben. Gentechnik sei so sicher, wenn nicht sogar sicherer als herkömmliche Züchtung und helfe, Menschen nachhaltiger zu ernähren. Die Kampagne der Aktivisten sei allein auf Gefühlen und Dogma begründet. Der Brief schließt mit der Frage: „Wie viele arme Menschen müssen noch sterben, bevor wir dies als ein ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘ betrachten?“ Die aktuelle Liste der Unterzeichnenden: www.supportprecisionagriculture.org

Foto-Credits (soweit nicht anders angegeben): Timo Küntzle

letzte Aktualisierung: 07.06.2023

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